Das lange Warten auf die Novemberhilfen

Leere Stühle, wo eigentlich Menschen miteinander plaudern und vor allem gutes Essen genießen sollten: Wie im Restaurant Helios in der Altstadt sieht es aufgrund der Corona-Pandemie und der Eindämmungspolitik derzeit überall aus. Doch mit der versprochenen Unterstützung sieht es eher mau aus. Foto: Antje Schroeder
Von Antje Schroeder
Schon seit bald drei Monaten im Lockdown, doch viele Gastwirte und Hotelbesitzer haben noch nicht einmal die zugesagte Kompensation für den November komplett erhalten. „Ich bin stinksauer“, sagt der Betreiber des Landhotels Gustav, Winfried Kimmel. Erst zwei Tage vor Weihnachten habe er einen ersten Abschlag bekommen – etwa die Hälfte der beantragten Zahlungen. „Das ist zynisch“, sagt Kimmel. Vom Kurzarbeitergeld, das er vorschießen müsse, habe er ebenfalls „noch nichts gesehen“. Bei der Dezemberhilfe sei der Antrag dann erst im neuen Jahr möglich gewesen, dabei seien es doch dieselben Formulare, sagt er kopfschüttelnd. Die Gastwirte sollen für November und Dezember Dreiviertel des stationären Umsatzes vom Vorjahresmonat erstattet bekommen.
Über den Lockdown an sich will sich Kimmel kein Urteil anmaßen. Er könne nicht beurteilen, ob die zwangsweise Schließung der Gastronomie seit Anfang November richtig oder falsch sei. Aber es sei eine Unverschämtheit, „dass die uns so dermaßen hängen lassen“. Er sei seit 30 Jahren selbstständig und habe immer seine Steuern bezahlt – nun komme er sich vor wie ein Sozialhilfeempfänger. Drei seiner 13 Angestellten hat Kimmel schon entlassen oder sie haben von sich aus gekündigt.
„Der Abschlag ist jetzt gekommen, aber es reicht hinten und vorne nicht“
„Es ist furchtbar“, sagt Annette Wiesatzki vom Restaurant Balkan, bei der ebenfalls nur ein Abschlag eingegangen ist. „Wir haben Januar, nicht mehr November.“ Lange Gesichter auch im Café „Zur alten Wache 1903“., sagt Inhaberin Jeanette Behnke. „Der Abschlag ist jetzt gekommen, aber es reicht hinten und vorne nicht.“ Wenn sich der Lockdown noch verlängere, werde es ab Februar schwierig. Die Spargelhöfe der Gebrüder Jakobs haben als Mischbetrieb gar keinen Anspruch auf die Hilfen im November und Dezember. „Wir sind komplett außen vor“, sagt Jürgen Jakobs.
Die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) habe erst am 12. Januar in die Prüfung einsteigen können, sagte der stellvertretende Pressesprecher Felix Dollase. Medienberichten zufolge gab es Verzögerungen bei einem zentralen Softwaretool der Bundesregierung. Alle Förderbanken seien in derselben Situation, so Dollase. 45 Sachbearbeiter prüfen jetzt bei der ILB die Anträge. Bis zum Start der Bearbeitung hatte die Förderbank an Gastwirte, Kosmetiksalons, Unterhaltungsstätten und andere Betriebe für November 25,2 Millionen Euro an vorläufigen Abschlägen ausgezahlt, für Dezember zwölf Millionen. Hinzu kamen Abschläge für Soloselbständige. Insgesamt haben 8000 Unternehmen und Solo-Selbständige in Brandenburg bislang Novemberhilfen beantragt, bei den Dezemberhilfen waren es knapp 3800. In Brandenburg bangen 70 Prozent der Gastronomen und Hoteliers um ihre Existenz, fast ein Fünftel (17,4 Prozent) denkt konkret über eine Betriebsaufgabe nach, wie der Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Brandenburg, Olaf Lücke, berichtet.
„Mache ich zu, verliere ich meine Kundschaft und meinen Namen.“
Abderrezak Bekal vom Steakhaus Los Ríos ist schon froh, dass er überhaupt einen kleinen Zuschuss bekommen hat – hat er doch sein Restaurant erst im Juni aufgemacht. Das Steakhaus „Los Ríos“ ist mittlerweile bei Lieferando gelistet. Bekal muss zwar Bestellungen selbst ausliefern und 13 Prozent des Umsatzes an die Plattform abgeben, betrachtet den Lieferdienst aber als gute Werbung. Mit seinem Liefergeschäft decke er gerade mal so eben die laufenden Kosten, sagt Bekal. Eine Alternative sieht er aber nicht. „Mache ich zu, verliere ich meine Kundschaft und meinen Namen.“ Und schließlich müsse er ja auch für die Menschen da sein.
Fation Elezi vom Restaurant Helios hat sich schon bisweilen gefragt, ob er die Zeit nicht besser mit der Familie hätte verbringen sollen, statt stundenlang auf das Klingeln des Telefons zu warten. Er lässt aber seine Küche offen, um Präsenz zu zeigen und seine Kunden nicht zu verlieren. Ähnlich hält es Jeanette Behnke, die Kuchen ausliefert und außer Haus verkauft. „Ich mache es, um zu zeigen, dass ich noch da bin“, sagt Behnke. Auch Annette Wiesatzki vom Restaurant Balkan überlegt nun, ihre bulgarischen Spezialitäten statt unter Weinranken oder neben dem Kamin auch außer Haus anzubieten.
„Wir sind Kämpfer und versuchen, alles auf die Beine zu stellen, was möglich ist“
Ulrike Laun vom Restaurant „Landlust“ in Körzin hat bisher nur einen kleinen Teil der Hilfen bekommen. „Wir sind Kämpfer und versuchen, alles auf die Beine zu stellen, was möglich ist“, sagt Laun. Das Außer-Haus-Geschäft ist schwierig, da viele Ausflügler kommen und die Kunden ihre anspruchsvollen Gerichte nicht einfach so nach Hause bringen können – zumindest nicht in einer Qualität, die Laun zufriedenstellen würde. Laun ist am Experimentieren, hat Weihnachspakete mit Wildwurst und Lebkuchen nach altem fränkischen Rezept gepackt. Möglicherweise könnte das Restaurant auch von dem Trend zum Dinner im Wohnmobil profitieren – sie habe schon einzelne Anfragen und sei auch bei dem Wohnmobil-Stellplatzführer „Landvergnügen“ registriert, sagt Laun. „Wenn alle Stricke reißen, gehe ich eben putzen.“
Anett Drewicke vom Gasthaus am Schützenplatz sieht ebenfalls wenig Möglichkeiten für einen Außerhausverkauf. Bei ihr nehmen in normalen Zeiten viele Mitarbeiter von Geschäften und Dienstleistern ihr Mittagessen ein, die nun selbst geschlossen haben. Die älteren Kunden kommen zudem nicht nur zum Essen, sondern auch um Bekannte zu sehen und ein Schwätzchen zu halten. „Man hofft, dass es nicht so lange geht, aber die Zahlen werden nicht besser“, seufzt Drewicke, die ebenfalls erst einen Abschlag erhalten hat.
Lutz Bastian von der Lindenschenke in Elsholz lobt indessen, dass er schon vier Tage nach Antragstellung den Abschlag für die Novemberhilfen bekommen hat. Das Weihnachtsgeschäft sei außerdem „super“ gewesen – mehr als 300 Essen hat das Team der Lindenschenke ausgegeben. Bastian geht davon aus, dass die Einnahmen aus dem Außerhausgeschäft nicht auf die Hilfen angerechnet werden – wie es Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Gastwirten Anfang November versprochen hat.
„Irgendetwas versuchen muss man ja.“
Markus Schulze vom Lokal Genial ist sich zwar nicht zu 100 Prozent sicher, kocht und liefert mit seinem Team trotzdem engagiert aus. „Irgendetwas versuchen muss man ja.“ Unterm Strich lag der Umsatz im Dezember – zumindest bezogen auf das Essen – sogar über dem vom Vorjahresmonat. Der Weihnachtsmarkt mit geliehenen Buden vom Bauhof sei gut gelaufen, sagt Schulze. Am den beiden Weihnachtsfeiertagen hatte das Lokal Genial 100 Bestellungen, mit jeweils mehreren Gerichten.
Um die Corona-Hilfen ist zuletzt einige Verwirrung entstanden. Bei den Überbrückungshilfen müssen laut dem „Handelsblatt“ wahrscheinlich einige Unternehmen Geld zurückzahlen, weil im Nachhinein die Bedingungen geändert wurden. Mit Blick auf die Novemberhilfen bestätigte das Bundeswirtschaftsministerium jedoch, dass die Gastwirte tatsächlich zusätzlich zu den staatlichen Zahlungen unbegrenzt Geld dazuverdienen dürfen. Sie dürfen also die Einnahmen aus dem Außerhausgeschäft in voller Höhe behalten. Diese Ausnahme gilt allerdings nur für Restaurants. Keine Entschädigung gibt es zudem für Umsätze, die die Gastwirte schon vor Corona außer Haus erzielten – diese Einnahmen bleiben bei der Berechnung der Novemberhilfen außen vor.
Nur einen Bruchteil des entgangenen Umsatzes bekommt Peter Reichel vom gleichnamigen Textilservice aus Wittbrietzen, der das „Lokal Genial“ und andere Restaurants mit Tischdecken, Servietten und anderer Wäsche beliefert. Lieferanten, die 80 Prozent ihres Umsatzes mit der Gastronomie machen, haben zwar Anspruch auf einen Ausgleich. Bei ihm seien es aber nur 50 Prozent, sagt Reichel. Das Unternehmen, das er mit seiner Frau führt, stattet neben Restaurants auch private Hochzeiten und Veranstaltungen aus. Statt 1000 Hochzeiten seien es 2020 aber gerade mal fünf gewesen, sagt Reichel. Er habe 70 bis 80 Prozent Ausfall. Die Krise sei „existenzbedrohend“.