Auch gemeinsame Wanderungen durch die Umgebung gehören zum Programm. Gabriele Paul, Christel Niederland und Martina Wiedemann von der Ortsgruppe Busendorf der Volkssolidarität freuen sich, dass es nun wieder weitergeht. Foto: Antje Schroeder
Von wegen nur Kaffeekränzchen!
Die Ortsgruppe der Volkssolidarität in Busendorf existiert seit mindestens 60 Jahren und ist eine der größten des bundesweit aufgestellten Verbandes. Doch auch hier muss man nach den Corona-Einschränkungen der vergangenen Monate wieder zurück zur Normalität finden
Von Antje Schroeder
An der Bushaltestelle in Busendorf warten schon die anderen. Gabriele Paul und Martina Wiedemann mit ihrem Cockerspaniel haben sich in den Schatten gestellt, als Christel Niederland ankommt. Ein Uhr mittags, die Sonne brennt. „Viel mehr werden es nicht“, sagt Gabriele Paul. Ein Paar werde zwischendurch noch dazu stoßen. Das kleine Grüppchen setzt sich in Bewegung und geht die Dorfstraße hinauf.
Wanderung der Volkssolidarität in Busendorf. Zum ersten Mal seit langem ist es eine Gelegenheit, sich wiederzusehen – in der Coronazeit waren Treffen nicht erlaubt. Die Mitglieder haben telefoniert oder sich über den Gartenzaun hinweg unterhalten. Wenn eine ältere Dame oder Herr Geburtstag hatte, bekam sie ein Geburtstagsständchen an der Tür. Gelegentlich sei man sich auch auf dem Friedhof begegnet, sagt Gabriele Paul. Seit März leitet sie die Mitgliedergruppe in Busendorf.

Gabriele Paul vor dem Vereinshaus in Busendorf. Hier organisiert die Volkssolidarität Veranstaltungen und Treffen für den gesamten Ortsteil. Foto: Antje Schroeder
Die Spätfolgen des Lockdowns machen der Volkssolidarität zu schaffen, wie vielen anderen Organisationen auch. Es ist nicht selbstverständlich, zum alten Leben zurückzukehren. Viele Menschen sind noch verunsichert und wissen nicht, was wieder zugelassen ist. Die meisten Aktivitäten sind eingeschlafen und müssen erst wieder neu belebt werden. „Das wird dauern, bis alles wieder läuft“, sagt Gabriele Paul.
Die drei Damen biegen auf den Dorfanger ein. Corona ist freilich nicht das einzige Problem der Volkssolidarität. Viele Mitglieder sind alt geworden, können nicht mehr richtig mitmachen – wie heute bei der Wanderung. Eine Dame hat sich entschuldigt, da sie Asthma hat und in der Hitze nicht gut laufen kann. Andere sind ohnehin nicht gut zu Fuß.
Die Volkssolidarität wurde vor dem Winter 1945 in Dresden von Parteien, Kirchen und Gewerkschaften ins Leben gerufen, um jenen zu helfen, die am schwersten unter den Folgen des Krieges zu leiden hatten – Kinder, Alte, Kranke, Vertriebene und heimgekehrte Kriegsgefangene. Die Bewegung wuchs. Später wurde sie auf die Altenarbeit zurückgedrängt, da Kindergärten und andere Einrichtungen in der DDR meist verstaatlicht wurden. Die Volkssolidarität stand als Massenorganisation im Ruf der Nähe zur Staatspartei.
Nach der Wende kamen die westdeutschen Wohlfahrtsverbände, manche sollen offen eine Übernahme betrieben haben. Ohne Erfolg. Die Volkssolidarität gibt es noch immer, mit Schwerpunkt im Osten. Als soziale Dienstleisterin betreibt sie Pflegeheime, Kitas und Beratungsstellen, organisiert Reisen und gehört mit 18.000 hauptamtlichen Beschäftigten zu den großen Sozial- und Wohlfahrtsverbänden in Deutschland. Regelmäßig meldet sich die Organisation zu sozialen und gesellschaftlichen Problemen zu Wort.
In Busendorf besteht die Ortsgruppe der Volkssolidarität mindestens seit den 60er-Jahren. Die langjährige Vorsitzende Eva Goebel erinnert sich noch, wie sie 1963 das erste Mal Mitgliedsbeiträge kassiert hat. „Das waren fünf bis sechs Männeken, und ich bekam von jedem 20 Pfennig.“ Sie organisierte schon damals vieles vom Gemeindebüro aus, später vom LPG-Büro. 2009 musste Eva Goebel den Vorsitz wegen Krankheit abgeben, ist aber immer noch für die Volkssolidarität aktiv.
Wie die Volkssolidarität, sind auch die in ihr organisierten Menschen in die Jahre gekommen. „Die Mitglieder werden älter, und es wachsen keine neuen nach“, sagt der Geschäftsführer des Verbandsbereichs Mittelmark, Dirk Brigmann. „Davor können wir die Augen nicht verschließen.“ Die Mitgliederzahlen schrumpfen, und das seit Jahren. Derzeit zählen die Orts-, Interessens und Selbsthilfegruppen insgesamt noch 140.000 Mitglieder. Im Jahr 2000 waren es 450.000.
Im Viertel am Dorfanger wurden Mitte der 90-er Ein- und Mehrfamilienhäuser gebaut, neue Familien zogen nach Busendorf. Doch hier und bei anderen Menschen im mittleren Alter blieben Anwerbeversuche oftmals erfolglos. Berufstätige Eltern mit kleinen Kindern haben meist wenig Zeit für das ehrenamtliche Engagement. Und wenn, bringen sich die Leute lieber im Sportverein ein. „Viele haben uns gesagt, Volkssolidarität – das ist nur etwas für die Alten“, sagt Christel Niederland, die sich schon seit den 80er-Jahren in der Ortsgruppe Busendorf engagiert.
Dabei ist die Busendorfer Ortsgruppe mit ihren 85 Mitgliedern weitaus mehr als nur ein Kaffeekränzchen alter Damen. Sicher treffen sie sich auch mal zum Seniorenfrühstück, zum Männerabend oder zur Geburtstags-Kaffeetafel. Doch das ist bei weitem nicht alles. Die Mitglieder holten, zumindest vor Corona-Zeiten, oft Kitakinder am Kindertag ab und veranstalteten mit ihnen Wettkämpfe. Sie machten zusammen Sport, feierten Fasching, fuhren zum Weihnachtsmarkt. Der Vorstand organisierte Handyschulungen, Ernährungsberatung, Vorträge zur Verkehrssicherheit oder zum Schutz gegen Einbrüche. Auch am Dorffest hat sich die Volkssolidarität immer beteiligt. Zu Reisen kamen oft Jüngere mit, zu den Wanderungen ging es mit Kind und Kegel, den Hunden und dem Bollerwagen. „Wir waren oft eine richtig große Truppe“, sagt Christel Niederland, der als pensionierter Lehrerin immer noch die Kinder besonders am Herzen liegen. In Busendorf sei die Volkssolidarität so etwas wie ein Dorfverein.
Hinter Kanin biegen die drei Frauen in einen Feldweg ein. Große Bäume spenden Schatten. Das Ehepaar, das hier an der Weggabelung dazu stoßen sollte, ist weit und breit nicht zu sehen – ein Missverständnis, wie sich im Nachhinein herausstellt. Die Busendorfer Ortsgruppe – einzige Mitgliedergruppe in Beelitz – ist auch innerhalb der Volkssolidarität etwas Besonderes. Mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren ist sie weitaus jünger als andere Gruppen vor Ort. Nicht zuletzt durch die Überredungskünste der ehemaligen Vorsitzenden Eva Goebel, die sich immer bemüht hat, auch jüngere Menschen in die Volkssolidarität zu holen. Unter anderem kam sie Mitte der 90er-Jahre auch auf Martina Wiedemann zu, die Dame mit dem Cockerspaniel, die damals gerade nach Busendorf gezogen war. Da war Wiedemann Mitte 30. Sie hat seitdem kaum eine Wanderung verpasst.
Die Frauen setzen ihren Weg Richtung Klaistow fort. Es geht über Plattenwege, an Spargelfeldern und Wiesen entlang. Christel Niederland erzählt von Mitgliedern, die nicht mehr aktiv sein können. Manche ziehen zu den Kindern oder gehen ins Pflegeheim. Zwei alte Damen seien immer zusammen bei den Treffen gewesen. Als die eine ins Heim kam, blieb die andere auch weg. Wer aber nicht mehr kommt, wird trotzdem nicht aufgegeben. Gabriele Paul, Christel Niederland und andere Mitstreiterinnen kümmern sich um ältere Mitglieder, begleiten sie zu Ärzten, besuchen sie im Pflegeheim oder rufen auch einfach mal an. Im Prinzip helfen somit die „jungen Alten“, die noch fit sind, den älteren, die vieles nicht mehr können, bestätigt Gabriele Paul. Die ehrenamtliche Arbeit ist eine wichtige Säule der Volkssolidarität. Bundesweit leisten 21.000 Mitglieder unbezahlte soziale Dienste. Christel Niederland schätzt, dass sie ein- bis zweimal pro Woche für Seniorinnen und Senioren tätig wird – neben ihren zahlreichen anderen Ehrenämtern, unter anderem im Gemeindekirchenrat. Sie wisse gar nicht, wie sie das früher alles neben der Familie und dem Beruf geschafft habe, sagt Christel Niederland, deren Mann Bernd von 1997 bis 2010 Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität war – dies aber unabhängig von den Aktivitäten seiner Frau auf Ortsebene.
Unterm Strich ist es aber so, dass die freiwillige Arbeit oft an Wenigen hängenbleibt. „Das ist frustrierend“, sagt Christel Niederland. In der Kirche sei es ähnlich. Erst unlängst seien nur drei Personen zu einer Veranstaltung gekommen.
Dabei ist es gar nicht so, dass sich die Menschen immer weniger engagieren. Im Gegenteil. Laut dem jüngsten Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend waren 2019 zwei von fünf Personen über 14 Jahren (39,7 Prozent) ehrenamtlich tätig. 20 Jahre davor lag die Quote lediglich bei knapp 31 Prozent. Diese neue Lust am Ehrenamt scheint aber an traditionellen Strukturen wie der Volkssolidarität vorbeizugehen. „Gerade für Jüngere gibt es viele alternative Engagementmöglichkeiten und die Volkssolidarität scheint hier wohl weniger attraktiv zu sein“, sagt Steffi Wiesner von der Koordinierungsstelle für Freiwilligenarbeit und Bürgerengagement Potsdam-Mittelmark in Bad Belzig. Jüngere würden sich ehrenamtlich mehr für andere junge Menschen engagieren, für die Themen Natur und Klima. Auch gebe es immer wieder Anfragen zur Geflüchtetenhilfe. Aber auch im Sport und in der Freiwilligen Feuerwehr sei das Engagement im ländlichen Raum immer noch groß.
Die Volkssolidarität selbst ist mittlerweile im Wandel. In der letzten Zeit haben viele jüngere Menschen Leitungsfunktionen übernommen, nicht zuletzt die 40 Jahre alte ehemalige Brandenburger Sozialministerin, Susanna Karawanskij, die seit Oktober 2020 Präsidentin ist. Doch bis der Wandel auf der lokalen Ebene angekommen ist, wird es dauern.
Die Damen sind nun in Klaistow angekommen. Über den Wohnmobilstellplatz gehen sie auf den Spargelhof, holen sich ein Eis und setzen sich in den Schatten. Sie sprechen darüber, wie sie wieder Schwung in die Gruppe bringen können, nicht zuletzt nach der langen Coronapause. „Wir können einen Spielenachmittag machen, wir brauchen wieder eine Sportgruppe, ich würde außerdem Sturzprophylaxe anbieten“, zählt Gabriele Paul auf. Auch die Kommunikation müsse verbessert werden. Erstmals soll es auch einen Emailverteiler geben. Das sei zwar nicht so ihr Part, sie habe aber schon jemand, der das machen würde, sagt Paul.
Die 67-Jährige kommt beruflich aus der Altenpflege. Bis zur Rente leitete sie die Betreuungsgruppe in Grebs bei Lehnin, hat dort unter anderem große Feste organisiert. Mit der neuen Rolle der Ortsgruppenleiterin scheint Gabriele Paul, die erst überredet werden musste, gar nicht so unglücklich zu sein. „Man hat mir das Amt zugetraut, jetzt muss ich beweisen, dass sie Recht hatten“, sagt Paul.
Interessenten können sich an Gabriele Paul, Tel. 0160/99 400 561 oder Eva Goebel, Tel. 033206/4277 wenden.