Wenn die Postkutsche über’s Spielfeld fegt
Es gab Zeiten, in denen der Begriff „Pferdestärken“ noch wörtlich gemeint war – und „Schmiergeld“ ein amtlicher Regierungsposten: Im 18. und 19. Jahrhundert stand das Postkutschenwesen in voller Blüte. Immerhin war es seinerzeit eines der schnellsten und verlässlichsten Kommunikationsmittel – und es ermöglichte Reisen über weite Strecken. Fünf junge Leute lassen diese Zeit jetzt wieder aufleben – mit dem Brettspiel „Der Beelitzer Postkutscher“. Das gibt es zwar (noch) nicht im Handel – aber es hat schon einen Preis abgeräumt.
Laura Haase, Jenny Giesecke, Johanna Kurzweg, Christian Moskwa und Erik Hanniball, die hinter dem Projekt stehen, sind nicht etwa hauptberufliche Spieleerfinder oder –designer, sondern Geomatiker, die ihre Ausbildung beim Brandenburgischen Landesamt für Landesvermessung und Geobasisinformation (LGB) absolviert haben. Das Brettspiel ist ihr zentrales Ausbildungsprojekt, das sie im vergangenen Jahr für den bundesweiten Förderpreis der Stiftung „Ravenstein“ eingereicht haben – der ist so etwas wie der „Oscar“ für Kartografen und Geomatiker. Und sie haben gewonnen: In der Kategorie „Ausbildung“ ergatterten sie den 1. Preis.
„Das erfordert Kreativität, Können und nicht zuletzt eine gute Koordination der Arbeiten“
„Das Besondere an dieser Einreichung ist die Vielfalt“, heißt es in einer Würdigung der Jury, welche die fünf Geomatiker mit der Urkunde per Post erhalten. Aufgrund der Corona-Eindämmung musste die eigentlich schon im Spätsommer geplante Preisverleihung in Wien abgesagt werden – was dem Stellenwert des Preises aber keinen Abbruch tut. „Die Erarbeitung setzt sich im Grunde aus drei Komponenten zusammen: einer überzeugenden grafischen und kartografischen Gestaltung, dem 3D-Druck von Brettspiel-Zubehör und einer Website zur Begleitung des Brettspiels. Das erfordert Kreativität, Können und nicht zuletzt eine gute Koordination der Arbeiten“, so die Jury.
„Wir haben lange überlegt, was wir uns als Projekt vornehmen – und dann haben wir im vergangenen Jahr die Alte Posthalterei in Beelitz besucht, einiges über das Postkutschenwesen erfahren und gemerkt, wie gut die Karten und einstigen Routen zu unserem Fachgebiet passen“, erzählte die 21-jährige Laura Haase, als sie vor einigen Monaten eine der fünf „Prototypen“ an die Stadt Beelitz übergab. Und da sie und ihre Mitstreiter absolute Brettspiel-Fans sind, lag die Idee nahe, beides miteinander zu verbinden.

Laura Haase (l.) und ihre Mitstreiter haben mit dem Postkutscher-Spiel auch für sich einen Meilenstein gesetzt – indem sie den rennommierten Ravenstein-Förderpreis ergatterten. Justine Remus (r.) aus der Stadtverwaltung hatte die fünf jungen Leute bei ihren Recherchen unterstützt.
Herzstück des Spiels ist dementsprechend das unglaublich detailreiche und maßstabsgetreue Spielbrett, das die Karte von Pommern über Mecklenburg bis hinunter nach Sachsen zeigt und über das sich diverse Routen zwischen den Städten schlängeln. Für die Spieler geht es darum, vom jeweiligen Startpunkt Beelitz oder Genthin aus zu den Postzentralen nach Berlin oder Magdeburg aufzubrechen, dort Sendungen abzuholen und an ihre Bestimmungsorte überall in Brandenburg-Preußen, Sachsen oder den benachbarten Herzogtümern zu bringen.
Dazu werden die Spielfiguren bewegt, die Schritte werden per Würfel bestimmt. Setzt man etwas Schmieröl ein, das auf jedem Stadtfeld gekauft werden kann, lässt sich die Augenzahl verdoppeln und man rückt schneller vor. Doch Vorsicht: unterwegs lauern so einige Unwägbarkeiten: Achsbrüche, Überfälle, aber auch ein plötzlicher Galopp, in denen die Pferde verfallen und den Spieler fünf Felder weiterkatapultieren, stehen auf Ereigniskarten, die man erwürfeln kann. Unterwegs können zusätzlich zur eigentlichen Sendung noch Kommandantenanfragen in Festungsstandorten angenommen werden. Kommt man zum Beispiel in Spandau vorbei und ist ohnehin in südliche Richtung unterwegs, kann die Kutsche auch gleich noch eine Botschaft für die Festung in Torgau mitnehmen. Dafür und für die eigentliche Sendung erhält der Postkutscher dann „Thaler“ und Siegpunkte, deren Gesamtzahl am Ende darüber entscheidet, wer gewonnen hat.
„Man braucht nur noch ein bisschen Fantasie – und schon ist man mittendrin in der Postkutschenzeit.“
Bei ihren Recherchen sind die Auszubildenden von der Stadt Beelitz unterstützt worden: Justine Remus, in der Verwaltung zuständig für die Museen, hat Kartenmaterial zur Verfügung gestellt und so manchen Einblick in die früheren Jahrhunderte ermöglicht, auch fachlich beraten. „Das Ergebnis ist wahnsinnig gut gelungen. Man braucht nur noch ein bisschen Fantasie – und schon ist man mittendrin in der Postkutschenzeit. Genau so sollte Geschichte erzählt werden: Spannend und auch ein wenig spielerisch.“
Nicht nur bei der Karte haben die Erfinder des „Beelitzer Postkutschers“ auf Genauigkeit geachtet: Die Spielfiguren sind mit dem 3-D-Drucker erstellte kleine Meilensteine, wie man sie heute noch an Landstraßen findet, die „Thaler“ und Spielmarken wurden mühevoll ausgestanzt und lackiert. Die Städte werden von bekannten Wahrzeichen symbolisiert. Und die Briefe, die es zuzustellen gilt, erzählen immer auch eine kleine Geschichte aus der jeweiligen Zeit. „Wir mussten aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr in den Details verlieren. Insgesamt hat die Herstellung rund ein Jahr gedauert“, so Laura Haase.
Ob der „Beelitzer Postmeister“ nun in Serie geht, wird vor allem in der Hand der Ravenstein-Stiftung liegen, schätzt Laura Haase. Diese übernehme mit dem Wettbewerbs-Beitrag auch die Rechte. Dass es viele begeisterte Abnehmer finden würde, ist anzunehmen – und das bei weitem nicht nur in Beelitz.