„Wir haben gelernt, ruhig zu bleiben“

Markus Kolbe leitet seit Juni 2018 das Seniorenzentrum in der Beelitzer Nürnbergstraße, das als Einrichtung der Gesundheitszentrum Teltow gGmbH zum Evangelischen Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin gehört. Das Seniorenzentrum verfügt über 32 Plätze für die stationäre Pflege, 23 in der Tagespflege sowie Wohnungen des Betreuten Wohnens.
Die Corona-Maßnahmen treffen die Seniorinnen und Senioren in den Wohnheimen besonders hart. Im Beelitzer Seniorenzentrum „Negen-danksland“ des Diakonissenhauses Berlin Teltow Lehnin versuchen alle, das Beste aus der schwierigen Situation zu machen. Von Corona-Fällen ist das Haus bisher verschont geblieben. Mit dem Leiter der Einrichtung, Pfarrer Markus Kolbe, sprach Antje Schroeder.
Wie wollen Sie durch die Zeit des zweiten Lockdowns kommen?
Es ist eine Gratwanderung. Wir wollen unsere Bewohner so gut wie möglich vor einer Infektion schützen. Gleichzeitig möchten wir natürlich die Lebensqualität und auch das soziale Leben erhalten. Solange unser Haus nicht geschlossen werden muss, ermöglichen wir weiterhin Besuche.
Welche Einschränkungen gelten gegenwärtig im Seniorenzentrum Negendanksland?
Die Besuchszeit ist von 10:30 bis 17 Uhr und auf eine Stunde begrenzt. Die Angehörigen sollen sich einen Tag vorher telefonisch anmelden und am Eingang das Kontaktformular ausfüllen. Wir haben zudem die Abläufe angepasst. Die Bewohner müssen nicht mehr alle auf ihrem Zimmer essen, wie im ersten Lockdown, aber wir haben jetzt für das Essen kleinere Gruppen gebildet. In der einen Woche können die einen, in der anderen die anderen im Gemeinschaftsraum essen. Wir haben außerdem ein iPad, auf dem die Bewohner mit ihren Angehörigen über Facetime oder Skype kommunizieren können.
Ist die gerontopsychiatrische Tagesstätte geöffnet?
Sie ist mittlerweile wieder ganz normal geöffnet. Dort messen wir täglich bei allen Gästen Fieber und kontrollieren die Symptome. Es wird auch auf die Abstandsregeln geachtet und auf den Tischen stehen Plexiglas-Trennscheiben. Das war natürlich anfangs gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile gehen die Gäste ganz locker damit um. Neulich haben sie zum Beispiel so das Erntedankfest vorbereitet. Trotz der besonderen Situation sind die Stimmung und Atmosphäre fröhlich.
Wie stark leiden Ihre Bewohnerinnen und Bewohner unter der Corona-Krise?
Ich habe eher den Eindruck, dass vor allem die Angehörigen leiden. Die Bewohner selbst merken es natürlich, z.B. dass ihre Kinder nicht mehr so oft kommen können. Viele finden es auch schade, dass sie nicht den Geburtstag im Café verbringen oder mit ihren Familien hier unten im großen Saal feiern können. Aber die Vertreter des Bewohnerschaftsrats haben erst neulich gesagt: Tja, es ist eben jetzt eine schwierige Zeit, aber wir hoffen, dass es dann auch irgendwann durch ist. Und ganz ehrlich: Manche genießen auch die Ruhe.
Antigen-Schnelltests sollen die Bewohner von Altenheimen schützen. Sind diese in Ihrer Einrichtung mittlerweile verfügbar?
Wir haben sie bestellt und ich kann nur hoffen, dass die Firmen sie entsprechend schnell liefern können. Das dazu notwendige Testkonzept haben wir sofort erarbeitet und beim Gesundheitsamt eingereicht. Ein Schnelltest dauert nur 15 Minuten. Das werden wir voll ausnutzen, um Besuche und Kontakte zu ermöglichen.
Soll grundsätzlich jeder, der seine Mutter oder seinen Vater besuchen will, vorher getestet werden?
So sehen wir es vor. Wir müssen natürlich abwarten, ob wir dafür genügend Tests haben. Wir bekommen ja pro Bewohner zunächst für die kommenden 30 Tage eine festgelegte Anzahl von Tests. Es wäre nicht fair, wenn ein Bewohner – ich übertreibe jetzt mal – jeden Tag fünf Besuche bekommen und eine unglaubliche Anzahl von Schnelltests benötigen würde, und dann wären keine Tests mehr da für die Tochter eines anderen Bewohners, die nach langer Zeit endlich aus Sachsen oder Schleswig-Holstein kommen kann. Zusätzlich sollen alle Bewohner und Mitarbeiter einmal in der Woche getestet werden, aber auch Friseure oder Fußpfleger, die in unser Haus kommen, sofern das weiterhin erlaubt ist. Wir haben aber auch schon zuvor regelmäßig getestet.
„Viele aus unserer Belegschaft sind schon seit Jahren hier und fühlen sich mit dem Haus eng verbunden. Wer irgend kann, ist da.“
Bundesweit ist ein Pflegenotstand zu verzeichnen. Sind Sie davon ebenfalls betroffen?
Gottseidank noch nicht. Ich bin sehr dankbar dafür. Wir haben ein festes Team mit 20 Pflegefachkräften, Pflegekräften, Betreuungskräften und Hauswirtschaftern. Viele Mitarbeiter sind schon seit Jahren hier und fühlen sich mit dem Haus eng verbunden. Wer irgend kann, ist da. Bisher haben wir zum Glück kaum Krankenstand.
Was waren für Sie bisher in der Coronazeit die bewegendsten Erlebnisse?
Für mich war sehr bewegend, mit welcher Phantasie Angehörige und Bewohner versucht haben, in Kontakt zu bleiben. Es hat sich ja sogar ein neuer Begriff entwickelt, das „Fenstern“ – als die Wohnbereiche in der heißen Phase nicht zugänglich waren, haben die Bewohner wie Rapunzel aus ihrem Fenster ein Seil mit einem Korb heruntergelassen, in den die Angehörigen Überraschungen reingesteckt haben. Die Tanzschule Cifuentes hat immer wieder angeboten, ihre Lehrstunden bei uns im Hof abzuhalten. Das Blasorchester aus Buchholz hat gespielt, um unseren Senioren zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Ich fand es auch super, dass der Bürgermeister immer wieder angerufen hat und sich erkundigt hat, was wir brauchen. Die Stadt hat dann auch Masken und Schutzausrüstung organisiert.
Was haben Sie aus der Zeit gelernt?
Wichtig ist es, mit den Angehörigen im Gespräch zu bleiben. Und wir haben gelernt, trotz der Unsicherheit, die überall zu spüren ist, ruhig zu bleiben. Ich sage immer: Heute ist heute und wir schauen, was wir heute möglich machen können. Ich hoffe, dass wir insgesamt entspannter bleiben, obwohl die Situation ja nicht weniger gefährlich ist als im Frühjahr.
Haben Sie auch mit Angehörigen zu tun, die keine Maske tragen wollen und selbst keine große Gefahr in Corona sehen?
Ja, natürlich. Es gibt Menschen, die einfach reinkommen, ohne zu klingeln oder sich anzumelden. Wir versuchen ja schon, keine abstrusen Auflagen zu machen. Trotzdem werden manchmal sogar die Mindestanforderungen – wie Mundschutz tragen, die Zeiten einzuhalten – ignoriert. Bisher habe ich noch keinen der Einrichtung verwiesen, wir sprechen das aber ganz deutlich an. Unsere Mitarbeiter verletzt es auch, wenn sie zu hören bekommen: „Wir lange wollen Sie meine Mutter noch einsperren?“ Hier wird niemand eingesperrt! Es kostet unsere Mitarbeiter viel Geduld und Kraft, die Bewohner und Angehörigen zu ermutigen, die Vorgaben einzuhalten.
„Es wäre absolut inhuman, die Seniorenzentren zu schließen und die Risikogruppen abzusondern, nur damit die Feierkultur weitergehen darf.“
Immer wieder werden Forderungen laut, die Risikogruppen stärker zu isolieren und dafür dem Rest der Bevölkerung mehr Freiheit zu lassen. Was halten Sie davon?
Ganz ehrlich, das finde ich unsozial. Unsere Senioren haben ja schon so viele Einschränkungen, dass wir denen nicht noch zusätzliche Dinge aufbrummen sollten. Es wäre absolut inhuman, die Seniorenzentren zu schließen und die Risikogruppen abzusondern, nur damit die Feierkultur weitergehen darf. Ich gönne jedem den Besuch in der Diskothek oder den Urlaub. Ich erwarte aber auch, dass in so angespannten Zeiten jeder ein Stück bereit ist, Verzicht zu üben zum Wohle aller.
Gibt es Ausnahmen von den strengen Besuchsregeln, beispielsweise wenn es ans Sterben geht?
Das ist für uns ganz wichtig. Wir haben immer gesagt, wenn jemand im Sterben liegt, müssen wir es in irgendeiner Weise möglich machen, dass sich die Liebsten verabschieden können. Das waren für uns immer ganz besondere Ausnahmen, weil diese Abschieds- und Sterbekultur zu unserem Haus gehört.