Endlich wieder Blasmusik in Buchholz

Musizieren ist wie Fahrradfahren

Das Jugendblasorchester Buchholz hatte wie viele andere Vereine und Kulturschaffende stark unter den Corona-Einschränkungen zu leiden gehabt. So musste das traditionelle Blasmusikfest auch in diesem Jahr ausfallen – dafür organisierte man nun eine öffentliche Orchesterprobe

Von Antje Schroeder

Das Auto mit offenen Fenstern parkt in gebührendem Abstand auf der anderen Straßenseite. Drei ältere Damen und ein Herr sind voller Vorfreude. „Es ist so schön, dass man wieder wachgerüttelt wird“, sagt eine der Damen. Die ersten Töne des Marsches „Friedensbote“ schmettern über die Dorfstraße von Buchholz. Zum ersten Mal seit Oktober kann das Jugendblasorchester Buchholz wieder auftreten. Genauer gesagt, ist es eine öffentliche Probe unter freiem Himmel.

Als Laien- und Freizeitorchester unterliegen die Bläser strengen Corona-Auflagen. Wegen der Übertragungsgefahr durch Aerosole durften sie seit Beginn des zweiten Lockdowns nicht mehr zusammen proben. Lediglich ein Weihnachtskonzert im Freien mit kleiner Besetzung war erlaubt. Das traditionelle Blasmusikfest am 30. Mai musste schon das zweite Jahr in Folge ausfallen. Selbst eine Miniaturausgabe mit kurzen Musikstücken an verschiedenen Orten des Dorfes wurde nicht genehmigt.

Trotz rückläufiger Infektionszahlen gibt es immer noch Auflagen. „Wir wollen ein musikalisches Statement abgeben“, sagt Dirigent Roy Blänckner

Das holen die Musikanten jetzt, zwei Wochen später, nach – trotz der gesunkenen Inzidenzen mit Testpflicht und anderen Auflagen. „Wir wollen ein musikalisches Statement abgeben“, sagt Dirigent Roy Blänckner. Als erste Station haben die Orchestermitglieder ihre Notenständer an der westlichen Dorfstraße aufgebaut, dort wo sonst das Blasmusikfest stattfindet. Jetzt spielen sie die „Buchholzer Polka“, dann den Blasmusik-Dauerbrenner „Auf der Vogelwiese“. Nach und nach kommen die Buchholzer heraus, setzen sich auf die Stufen vor ihren Häusern. Für die Veranstaltung durfte keine Werbung gemacht werden. Lediglich als „Zaungäste“ können Besucher den Klängen lauschen. „Ich habe früher immer gehört, wenn sie geprobt haben“, sagt eine Zuhörerin.

In dem früheren Probenraum in der alten Schule dürfen sich die Orchestermusiker aber schon lang nicht mehr treffen – zu eng ist der Raum in Corona-Zeiten. Mehr Platz werden die Musiker ab Oktober in dem neuen Musik-Dorfgemeinschaftshaus finden, das derzeit gebaut wird, und das an dem Tag die letzte Station sein wird. „Alle Buchholzerinnen und Buchholzer hoffen auf eine Fortführung dieser musikalisch wertvollen Tradition, wir drücken dem Orchester die Daumen für den Neuanfang nach der Zwangspause und werden es gern unterstützen“, sagt Ortsvorsteher Torsten Boecke.

Gemessen an der langen Pause, laufen viele Stücke noch ganz gut. „Das Blasmusikspielen ist wie Fahrradfahren oder Schwimmen, das verlernt man nicht“, sagt Dirigent Blänckner. Allerdings müssten die Bläser die Lippenmuskeln und das Zwerchfell wieder trainieren. Für die heutige Probe habe er eher einfache Stücke aus dem Repertoire ausgewählt. Der 35-Jährige leitet seit Ende 2011 das Orchester von der musikalischen Seite her.

Die Bläser haben sich mittlerweile auf der östlichen Seite der Dorfstraße aufgestellt. Wind weht durch die Notenblätter, als die „Märkische Heide“ und nochmal die „Buchholzer Polka“ ertönt. Die Zuhörer klatschen. „Es ist schön, mal wieder Applaus zu hören“, sagt Roy Blänckner. Schon mit 11 ist er in das Jugendblasorchester eingetreten, spielt selbst bisweilen Baritonhorn, wenn Not am Mann ist. Überhaupt ist Blänckner, wie viele Buchholzer, tief mit dem Orchester verbunden. Er hat dort seine Lebensgefährtin Susanne Müller kennengelernt – sie spielt Klarinette. Seine Mutter Kerstin Blänckner ist nach 30 Jahren Pause mit ihrem Waldhorn ebenfalls wieder beim Jugendblasorchester dabei.

Hauptamtlich wartet und repariert Blänckner als Mechaniker Kräne in der Liebherr-Niederlassung in Alt Bork. Ehrenamtlich arrangiert er Stücke, schreibt Noten und probt die Lieder mit den Buchholzer Blasmusikern ein. Sein Handwerk als musikalischer Leiter hat Roy Blänckner bei der Turner-Musik-Akademie in Bad Gandersheim gelernt, später bei Orchestergrößen wie Franz Thurig, dem ehemaligen Chefdirigenten des Landespolizeiorchesters, der nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst lange Jahre das Jugendblasorchester Buchholz leitete und prägte. Viel lernte Blänckner auch von Ronald Reuter, einst Kapellmeister am Potsdamer Hans-Otto-Theater und Dirigent des Potsdamer Männerchors. Mittlerweile haben Roy Blänckner und das Orchester mehr als 100 Stücke in der Mappe – neben klassischen Märschen und Polkas auch etwas modernere Stücke, beispielsweise Filmmusik aus „Fluch der Karibik“ oder Lieder von Helene Fischer.

Die Leute klatschen, einer bringt einen Kasten mit Getränken vorbei: „Endlich macht mal jemand was“, ruft einer.

Ein Buchholzer kommt mit einem Kasten Erfrischungsgetränke, freudig begrüßt von den Orchesterleuten. „Endlich macht mal jemand was“, ruft einer. Der Kasten wird nicht der einzige bleiben. Mehrfach werden die Bläser und Trommler auf ihrer Tour durchs Dorf von den Einwohnern „beliefert“. Überhaupt ist die Stimmung gelöst, die Musiker scherzen, frozzeln sich gegenseitig an, erzählen von anderen Mitgliedern, die nicht kommen konnten.

Vor seiner Tür sitzt Richard Stein, der frühere Leiter und einer der Gründungsväter des Orchesters. „Ich konnte alles hören, jeden Fehler“, sagt der mittlerweile 92-Jährige augenzwinkernd. „Ich kenne doch meine Truppe.“ Stein würde am liebsten selbst wieder mit dabei sein und plant es fest ein, „wenn ich wieder auf den Beinen bin“.

Stein, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtling aus Rumänien nach Buchholz gekommen war, hatte das Orchester vor 63 Jahren mit aus der Taufe gehoben. Seitdem haben unzählige Buchholzer die Ausbildung durchlaufen. Lange Jahre hat Kurt Schumann die Nachwuchsmusikerinnen und -musiker ausgebildet, neben seinem Beruf als Lokschlosser in Seddin. Er sei seinerseits mit 12 Jahren eingetreten, erzählt der 70-jährige Trompeter. „Damals ist man ja sonst kaum rausgekommen aus dem Dorf.“ Mit dem Orchester habe es hingegen viele Auftritte an anderen Orten gegeben. „Das hat Spaß gemacht“, sagt Schumann.

Viele sind bis heute dabei, so neben Schumann auch Rainer Sommer an der Tuba, der 76-jährige Vater des Vorstandsmitglieds und Baritonisten Christian Sommer. Bei der 60-Jahrfeier 2018 waren sie mit allen Ehemaligen 200 Leute, die meisten davon aus Buchholz. Bei einer Einwohnerzahl von 400 bedeutet es, dass mehr oder weniger die Hälfte aller Buchholzerinnen und Buchholzer aktuell oder früher im Orchester sind oder waren. „Jede Familie hat jemand in der Feuerwehr oder im Jugendblasmusikorchester“, sagt Roy Blänckner. Mittlerweile spielt das Orchester an der dritten Station auf, vor der Freiwilligen Feuerwehr. Das Jugendblasorchester ist seit der Gründung den Brandwächtern eng verbunden. Auch heute sorgen Feuerwehrleute als Ordnungskräfte dafür, dass die Auflagen des Gesundheitsamtes eingehalten werden.

Klarinettistin Susanne Müller ist ebenfalls schon im Grundschulalter eingetreten. „Der ganze Freundeskreis ging ins Orchester.“ Ein Großteil sei geblieben. Das Gemeinschaftsgefühl möchte sie nicht missen, sagt Müller. Auch die Klarinettistin Luisa Wilke trat in der ersten Klasse mit anderen Mitschülern ein, lernte erst einmal geduldig ein Jahr lang das Notenlesen.

Allerdings fehlt dem 30 Personen starken Orchester heute der ganz junge Nachwuchs. Die jüngste Musikantin ist auch schon 17 Jahre alt. Ein Junge am Wegesrand wäre als Zweitklässler eigentlich im richtigen Alter. Seine Eltern wollten ihn gerade überreden, ins Orchester zu gehen. Doch er wehrt ab. „Musik habe ich über die Alexa.“ Selbst die Urenkel des Orchestergründers Richard Stein sind bisher nicht für die Blasmusik zu gewinnen. Der Fußballverein ist interessanter.

Es gebe eben viele Konkurrenzangebote, seufzt Roy Blänckner. Hinzu käme, dass heute viele Kinder nicht bei der Stange blieben oder von den Eltern dazu angehalten würden. Er appelliert deshalb an die Eltern: „Schickt Eure Kinder in Vereine!“ Es sei wichtig, das soziale Miteinander zu erfahren. Wie zum Beispiel im Jugendblasorchester.

www.blasorchester-buchholz.de